Von Reichweite um jeden Preis zur direkten Beziehung
Früher galt: Je größer die Reichweite auf YouTube, Instagram & Co., desto besser – koste es, was es wolle. Creator:innen produzierten massenhaft Content, um die Algorithmen zufriedenzustellen und auf den Feeds ihrer Follower zu erscheinen. Doch die Realität hat sich verändert: Plattformen wie TikTok oder Instagram zeigen Nutzerinnen überwiegend Inhalte an, die nicht von den abonnierten Creators stammen. Laut einer aktuellen Analyse verbringen TikTok-User 57 % ihrer Zeit mit Videos von Accounts, denen sie gar nicht folgen, und nur ein Viertel der Instagram-User schaut überhaupt noch gezielt den eigenen „Follow“-Feed. Das heißt: Selbst wer Tausende Follower hat, kann sich nicht darauf verlassen, diese überhaupt zu erreichen, da empfohlene Beiträge* die Timeline dominieren.
Diese algorithmische Unberechenbarkeit hat Folgen. 78 % der Creator:innen geben an, dass die undurchsichtigen Plattform-Algorithmen ihre kreative Arbeit beeinflussen, über die Hälfte fühlt sich sogar darin ausgebremst, den eigenen Leidenschaften zu folgen. Viele spüren: Reichweite allein bringt wenig, wenn die Bindung zum Publikum oberflächlich bleibt. Analystin Julia Alexander bringt es auf den Punkt: Wirklich nachhaltiger Erfolg entsteht, wenn einzelne Creator direkte Beziehungen zu ihren Kernfans aufbauen. Statt Millionen flüchtiger Views zählen nun eher tausend engagierte True Fans – Menschen, die den Creator und seine Mission wirklich schätzen und unterstützen. In der Creator-Economy von heute wird klar: Qualität der Beziehungen schlägt Quantität der Klicks.
Inhalte sinnvoll vermarkten: Fokus auf Qualität und Community
Mit dieser Verschiebung hin zu „Creator First“ wandelt sich auch die Art und Weise, wie Inhalte vermarktet werden. Anstatt täglich dem nächsten viralen Trend hinterherzujagen, besinnen sich viele Creator:innen auf Qualität und Konsistenz. Längere, inhaltlich tiefere Formate erleben ein Comeback – Newsletter, ausführliche Blogartikel, Podcasts – eben Content, der echten Mehrwert bietet. Tatsächlich beobachten Branchenstudien einen Long-Form-Rückkehr: Während Kurzvideo-Plattformen stagnieren, verzeichnet z. B. der Newsletter-Dienst Substack weiterhin starken Zuwachs an Leserinnen. Laut einer aktuellen Umfrage erhöhen knapp 70 % der Marketingverantwortlichen und rund zwei Drittel der Creator:innen ihre Produktion von längerformigen Inhalten wieder deutlich. Der Grund: Nutzerinnen sind frustriert von oberflächlichen, algorithmisch gesteuerten Feeds und sehnen sich nach direkteren, gehaltvolleren Verbindungen zu ihren Lieblings-Creator:innen.
Für Creator:innen heißt das: Lieber weniger Beiträge, dafür persönlicher, wertvoller und authentischer. Inhalt, der eine Nische bedient oder die eigene Expertise unterstreicht, zieht die richtigen Leute an – jene, die wirklich interessiert sind und vielleicht bereit, zu loyalen Fans oder zahlenden Mitgliedern zu werden. Dieses Vertrauen und die Bindunglassen sich dann in nachhaltiges Einkommen ummünzen. Statt sich allein auf volatile Werbeeinnahmen oder unberechenbare Plattform-Deals zu verlassen, setzen immer mehr Creator:innen auf direkte Monetarisierung: bezahlte Abos, Mitgliedschaften, eigene Produkte oder Services. So diversifizieren sie ihre Einnahmen und machen sich unabhängiger von den Launen großer Netzwerke. Es zeigt sich: Wer eine engagierte Community hat, kann Krisen – ob Algorithmus-Änderung oder Werbeflaute – deutlich gelassener entgegensehen, weil die Unterstützung der Kernfansträgt.
Plattformen im Creator-First-Vergleich: Substack, Patreon & Co.
Zum Glück gibt es heute eine Reihe von Plattformen und Tools, die genau diesen Creator-First-Ansatz verfolgen. Sie stellen die direkte Beziehung zwischen Schöpfer und Publikum ins Zentrum und geben Creator:innen mehr Kontrolle. Ein kurzer Überblick über einige wichtige Optionen:
- Substack: Eine Plattform speziell für Newsletter und Blogposts. Substack ermöglicht es, Leserinnen direkt per E-Mail zu erreichen und Abonnements – kostenlose oder bezahlte – anzubieten. Das Besondere: Es gibt keinen Feed-Algorithmus und keine fremden Werbeanzeigen – was zählt, ist die direkte Verbindung zwischen Writer und Publikum. Viele Journalistinnen, Autorinnen und auch prominente Persönlichkeiten wie Margaret Atwood oder Lena Dunham haben Substack genutzt, um unabhängige Publikationen* mit treuer Leserschaft aufzubauen. Substack verdient mit, indem es etwa 10 % Provision von den Einnahmen erhält, und bietet dafür ein Rundum-sorglos-Paket für den Newsletter-Betrieb.
- Patreon: Patreon ist der Vorreiter für Mitgliedschaftsmodelle. Hier können Fans ihre Lieblings-Creator:innen mit monatlichen Beiträgen direkt unterstützen und erhalten im Gegenzug exklusiven Content, Einblicke oder andere Benefits. Entstanden ist Patreon einst, um YouTubern (wie dem Mitgründer Jack Conte) eine Einkommensquelle jenseits der YouTube-Werbung zu bieten – inzwischen nutzen Creator aller Genres die Plattform. Das Prinzip dahinter: Community statt Klicks – eine vergleichsweise kleine Gruppe engagierter Mitglieder finanziert den Creator und ermöglicht ihm größere kreative Freiheit. Patreon eignet sich für Video-Creator, Podcaster, Künstler:innen – alle, die eine engagierte Fanbasis haben. (Die Plattform behält je nach Tarif etwa 5–12 % der Einnahmen als Provision ein.)
- Steady: Gewissermaßen das europäische Pendant zu Patreon, mit starkem Fokus auf Unabhängigkeit für Creator. Steady wurde 2016 in Deutschland gegründet und wird u. a. von unabhängigen Medienprojekten wie Krautreporter, Übermedien oder Volksverpetzer genutzt. Die Plattform ist für viele Formate offen – von Blogs über Podcasts bis YouTube – und nimmt Creator:innen lästige Aufgaben wie Abrechnung und Mehrwertsteuer ab. EU-Creator profitieren von geringeren Zahlungsgebühren (für europäische Karten) und voller DSGVO-Konformität. Steady selbst beschreibt seinen Ansatz als simpel und vielseitig und hat beobachtet, dass erfolgreiche Creator oft verschiedene Medien kombinieren, z. B. einen Podcast plus begleitenden Newsletter, um ihre Community optimal einzubinden. Heute gilt Steady mit über 200.000 zahlenden Mitgliedern und 1.700 Creator-Projekten als größte Membership-Plattform Europas – ihr Modell zeigt, wie Fans durch direkte Unterstützung kreative Projekte tragen können.
- Circle: Während Substack und Patreon primär der Inhaltsverteilung und Finanzierung dienen, bietet Circle eine Heimat für Communities. Circle ist eine Plattform, auf der Creator:innen ein eigenes, privates soziales Netzwerk für ihre Fans aufbauen können – mit Diskussionsforen, Gruppen, Events, Kursbereichen und mehr. Hier geht es nicht nur darum, Content bereitzustellen, sondern echtes Engagement zu fördern. Circle wurde gezielt für die Interaktion entwickelt und gilt als „community-first“: Es ist nicht bloß ein weiterer Ort, an dem man Inhalte ablädt und hofft, dass Leute zufällig vorbeischauen, sondern ein Raum, in dem Community wirklich gelebt wird. Für Gründer:innen, die ihren Kund*innen oder Followern Austausch untereinander ermöglichen wollen – ohne die Ablenkungen und Einschränkungen etwa einer Facebook-Gruppe – kann Circle eine spannende Lösung sein (inklusive Möglichkeiten, Membership-Zugänge und Zahlungen direkt zu integrieren).
- Newsletter-Tools & Selbsthosting: Neben den genannten Plattformen lohnt sich der Blick auf klassische Newsletter-Services und unabhängige Blog-Systeme. Ob mit All-in-One-Diensten wie Mailchimp, Sendinblue & Co. oder mit einer eigenen Website auf Basis von Open-Source-Lösungen wie Ghost – entscheidend ist, dass du die E-Mail-Adressen deiner Community besitzt und sie direkt erreichen kannst. E-Mail-Newsletter feiern deshalb ein Revival, weil sie einen ungefilterten Draht zum Publikum herstellen – in einer persönlichen Umgebung, die nicht von Algorithmen bestimmt wird. Auch One-Time-Support-Tools wie Buy Me a Coffee oder Ko-fi bieten unkomplizierte Wege, wie Fans Danke sagen oder kleine Beiträge leisten können. Wichtig ist am Ende, das passende Werkzeug für die eigenen Inhalte und Zielgruppen zu wählen. Jedes der erwähnten Tools hat seine Stärken, doch alle eint: Sie geben mehr Kontrolle in die Hände der Creator und erleichtern den Aufbau einer loyalen Community.
Direkte Beziehungen als Zukunftsstrategie
Was können Solo-Gründer:innen und digitale Unternehmer:innen aus diesem Trend lernen? Vor allem, dass ein Business heute stabiler steht, wenn es auf einer Community fußt statt nur auf flüchtiger Reichweite. Natürlich sind Facebook, Instagram oder TikTok weiterhin wertvoll, um Bekanntheit aufzubauen und neue Leute auf sich aufmerksam zu machen – quasi als Schaufenster. Doch die Kundenbindung und Wertschöpfung findet immer mehr abseits der großen Massenplattformen statt: in Newslettern, Memberships, Foren und eigenen Apps. Hier besitzt du die Beziehung zu deinem Publikum, anstatt sie an einen Tech-Konzern zu delegieren.
Diese Neuausrichtung erfordert Mut zur Unabhängigkeit. Es bedeutet, die Fans aktiv von den sozialen Netzwerken wegzu den eigenen Kanälen zu führen – etwa durch Aufrufe wie „Trag dich in meinen Newsletter ein“ oder „Werde Mitglied für exklusiven Content“. Die großen Plattformen machen es einem dabei nicht leicht; sie wollen ihre Nutzer nur ungern ziehen lassen. Dennoch zahlt sich der Mehraufwand langfristig aus. Die direkte Fan-Beziehung ist robust gegenüber Algorithmus-Änderungen und Datenkraken – sie beruht auf echtem Interesse und Vertrauen. Wer eine solche Community pflegt, dem verzeiht man auch mal eine kreative Pause oder einen Experimentier-Schlenker, weil die Bindung tiefer geht als der nächste Like.
Man sieht an erfolgreichen Creator-Vorbildern, dass Authentizität und Austausch heute entscheidender sind als Hochglanz-Perfektion. Creator, die nahbar sind, ihre Community einbeziehen und konsequent Mehrwert liefern, schaffen loyale Anhänger – seien es 100 oder 10.000. Diese Fans tragen ein Projekt durch Höhen und Tiefen, empfehlen es weiter und werden im besten Fall selbst zu Botschaftern. So entsteht rund um eine Idee, Marke oder Mission eine stabile Unterstützerbasis, die weitaus wertvoller ist als jede kurzfristige virale Reichweite.
Indem du Plattformen und Strategien wählst, die dich in den Mittelpunkt stellen, sicherst du dir direkten Zugang zu deinem Publikum und baust echtes Vertrauen auf. Die großen sozialen Medien kannst du weiterhin als Zubringer nutzen – aber das Herzstück deiner Marke sollte dir gehören. Die Zukunft gehört denen, die Plattformen neu denken und den direkten Draht zu ihrer Community als größten Wert begreifen. Denn am Ende sind es nicht die Algorithmen, die den Erfolg deines Business bestimmen, sondern die Menschen, die sich mit dir verbunden fühlen.