Was ist überhaupt neurodivers?

Stell dir vor, zwei Leute schauen denselben Film. Der eine achtet auf die Musik, der andere merkt sich jede Kameraperspektive. Beide haben denselben Input, aber ihr Hirn verarbeitet das ganz anders. Genau darum geht’s bei Neurodiversität. Nicht alle ticken gleich und das ist nicht neu. 

Schon immer gab es Menschen, die ihre Umwelt intensiver wahrnehmen, sprunghafter denken als andere, oder die Welt extrem strukturiert wahrnehmen. Viele davon wissen gar nicht, dass sie neurodivergent sind, weil sie einfach ihr Leben leben. Wir wollen hier keine Labels verteilen, sondern darauf aufmerksam machen, dass es viele verschiedene Arten des Denkens gibt, als es in unserem Bildungssystem in der Arbeitswelt gerade gelebt wird.

Was das im Arbeitsalltag bedeutet

In klassischen Bürojobs wird oft erwartet, dass alle funktionieren und zwar möglichst gleich. Klare Kommunikation, Teamfähigkeit, Multitasking, ein bisschen Smalltalk und abends pünktlich Feierabend. Wer da nicht reinpasst, hat es schwer. 

Ein Beispiel: Eine Kollegin mit Autismus mag keinen Smalltalk in der Kaffeeküche, bringt aber in der Analyse so schnell Ergebnisse, dass andere kaum mitkommen. Ein anderer, mit ADHS, kriegt beim dritten Excel-Termin Schweißausbrüche, aber löst komplexe Probleme, wenn man ihn einfach machen lässt.

Das sind keine Ausnahmen, das ist Realität. Nur merkt es kaum jemand, weil diese Leute sich entweder anpassen, krank werden oder gleich ganz verschwinden.

Und dann wundert man sich über Fachkräftemangel

Viele Firmen sagen heute: Wir finden keine guten Leute mehr. Die Wahrheit ist oft eine andere. Gute Leute gibt es. Sie passen nur nicht ins enge Raster. Sie gehen leise unter, weil sie nicht in der Kaffeeküche glänzen oder sich im Bewerbungsgespräch verkaufen können. Die große Ironie dabei: Ausgerechnet die, die neue Perspektiven bringen könnten, werden aussortiert, weil sie nicht ins Bild passen. Oder weil sie Dinge hinterfragen. Oder weil sie lieber zuhören, bevor sie sprechen.

Es geht nicht um Rücksicht, sondern um Nutzen

Oft kommt dann die Frage: Müssen wir uns denn jetzt an jeden Einzelnen anpassen? Die kurze Antwort ist: Nein. Aber wer das fragt, hat das Thema nicht verstanden.

Es geht nicht um Extra-Würste, sondern darum, Bedingungen zu schaffen, unter denen mehr Leute ihr Potenzial überhaupt zeigen können. Das ist kein Akt der Freundlichkeit. Das ist einfach klug. Wer Prozesse etwas flexibler denkt, kriegt dafür im besten Fall Menschen, die loyal, kreativ und ungewöhnlich lösungsorientiert sind.

Es gibt keine Standardlösung

Jede neurodivergente Person ist anders. Manche brauchen klare Tagespläne. Andere wünschen sich vor allem Ruhe. Manche möchten lieber schreiben statt reden. Andere brauchen einfach nur ein bisschen Verständnis, wenn sie in Meetings nicht sofort reagieren. Wichtig ist: Fragen hilft. Und zwar ohne zu bewerten. Einfach mal sagen: Was brauchst du, um gut arbeiten zu können? Das ist kein Eingeständnis von Schwäche, das ist Führungsstärke. Und übrigens: Auch neurotypische Menschen profitieren oft davon.

Auch Sprache macht einen Unterschied

Schon wie wir über das Thema reden, ist entscheidend. Wer ständig von „Störungen“ spricht, grenzt aus. Wer sagt „krank“, wo „anders“ genügt, macht zu. Dabei geht vielen nicht um Mitleid, sondern einfach darum, ernst genommen zu werden. Was hilft, ist eine Sprache, die nicht beschönigt, aber auch nicht bewertet. Eine, die nachfragt, zuhört und nicht sofort eine passende Schublade aufzieht und einsortiert. 

Ich kenne Unternehmen, die intern einfach angefangen haben, das Thema offen zu besprechen. Ohne große Kampagne. Nur ein paar Gespräche, ein paar Rückfragen, ehrliches Interesse. Das hat mehr verändert als so manches Diversity-Konzept mit PowerPoint-Folien.

Neurodiversität ist längst da – wir merken es nur nicht

Viele denken bei dem Thema an etwas Neues, Exotisches. Dabei arbeiten neurodivergente Menschen längst überall. Sie sind schon Teil des Teams, nur redet niemand darüber. Weil sie sich anpassen, zurückziehen oder weil sie gelernt haben, dass es einfacher ist, still zu sein.

Das muss nicht so bleiben. Und es beginnt nicht mit großen Strategien. Ein guter Anfang ist, einfach mal anders hinzuschauen.

Was es bedeutet, neurodivers zu führen

Viele Führungskräfte denken bei Neurodiversität erst mal an Personalabteilungen oder an Barrierefreiheit. Aber die initale Zündung ist die eigene, persönliche Haltung.

Führen heißt nicht nur Ziele vorgeben und kontrollieren. Führen heißt auch zuhören, erkennen, begleiten. Vor allem bei Menschen, die vielleicht nicht sofort ins Raster passen.

Wer ein neurodiverses Team führt, braucht keine Zusatzqualifikation. Aber ein guter Schuss Neugier ist hilfreich. Auch die Bereitschaft, das eigene Führungsverhalten ab und zu infrage zu stellen, kann wirkungsvoll sein.

Zum Beispiel: Muss jede Rückmeldung sofort kommen? Oder reicht es, wenn sie schriftlich am nächsten Tag kommt? Muss jedes Meeting synchron laufen? Oder kann man einen Teil vorab als Text verschicken, damit alle dieselbe Chance haben, sich vorzubereiten?

Viele neurodivergente Menschen berichten, dass sie jahrelang dachten, sie seien „zu langsam“ oder „zu direkt“. Bis sie eine Führungskraft hatten, die nicht gewertet hat, sondern einfach gefragt hat: Wie arbeitest du am besten? Das klingt banal, ist es aber nicht. Denn genau an solchen Punkten entscheidet sich, ob jemand bleibt oder geht.

Ein neurodiverses Team zu führen bedeutet auch, mit Unsicherheiten umgehen zu können. Nicht immer ist alles sofort eindeutig. Manches wirkt auf den ersten Blick vielleicht seltsam oder unbequem. Aber oft lohnt sich das Dranbleiben. Nicht, weil man irgendwen retten muss, sondern weil gute Arbeit manchmal dort entsteht, wo es vorher ein bisschen geruckelt hat. Führung ist kein Baukasten, es ist Beziehung. Und je mehr man über die Menschen versteht, mit denen man arbeitet, desto besser wird’s für alle Beteiligten.

Neurodiversität ist nichts Neues. Wir haben es nur lange ignoriert.

Es wird Zeit, dass wir lernen, anders hinzuschauen. Weg vom Schubladendenken, hin zum Menschen. Nicht jede Person passt in jedes System, aber jedes System kann ein Stück flexibler werden. Am Ende geht’s nicht um Toleranz. Es geht um Zusammenarbeit. Und die funktioniert besser, wenn wir die Unterschiede akzeptieren und ernst nehmen.

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