Von Günter Faltin
Dieser Artikel erschien zuerst in der WIWO Gründer.
Wenn wir ein Konzept erarbeiten, stellen wir darin viele Überlegungen an, wie etwa zur Produktart, zum Design, zum Preis, zur Art des Vertriebs, zum Ort der Herstellung und zu vielem mehr – Überlegungen, die zunächst nicht immer so aussehen, als hätten sie etwas mit unseren Kunden zu tun.
In Wirklichkeit sind aber in fast allen Überlegungen Annahmen über das Verhalten der Kunden enthalten. Es können offene Annahmen sein, aber auch versteckte. „Wollen die von uns angepeilten Kunden überhaupt ein solches Produkt?“ „Spielt es eine Rolle, ob das Produkt in Deutschland, in Ungarn oder in Bangladesch hergestellt wird?“ Alle diese Annahmen, ob offen oder versteckt, sind für den Erfolg unseres Konzepts im Markt aber wichtig. Wir tun also gut daran, uns alle Annahmen bewusst zu machen.
Warten Sie nicht bis zum Markteintritt mit einem Test!
Wir können und sollten ein unternehmerisches Konzept also zunächst als einBündel von Annahmen betrachten. Und wir tun gut daran, diese Annahmen in der Praxis zu testen. Denn es ist keineswegs sicher, ob wir mit diesen auch richtig liegen. Ein nicht geringer Teil aller in Businessplänen gemachten Vermutungen ist falsch. Schätzungen gehen bis zu 70 Prozent. So etwas kann tödlich sein für unseren Auftritt im Markt. Wahrscheinlich trägt dieser Sachverhalt zur hohen Quote des Scheiterns von Neugründungen in den ersten fünf Jahren bei.
Wir sollten daher nicht bis zu unserem Markteintritt warten, um festzustellen, ob wir richtig oder falsch liegen. Der Markttest, der sogenannte „Proof of Concept“, sollte viel früher erfolgen. Es erspart uns Irrwege oder Konstruktionen, die auf falschen – oder zumindest ungeprüften – Annahmen basieren. Im Kern also: Ausprobieren, was und wie es funktioniert.
Am besten testen Sie, ob die Kunden auch tatsächlich bestellen würden. Also reale Bestellungen einholen. Ein harter Test zwar, aber ein guter; er zeigt, ob Sie wirklich das Vertrauen Ihrer Kunden mit Ihrem Konzept gewinnen können.
Sven Ripsas, Professor für Entrepreneurship an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin, hat Pionierarbeit auf dem Gebiet des „Proof of Concept“ geleistet. Er, der die Idee des Businessplans Mitte der 1990er-Jahre nach Deutschland brachte, erkannte als einer der Ersten die Defizite und Gefahren einer Orientierung an Businessplänen. Der Proof of Concept verlange, richtig verstanden, ein ganz anderes Vorgehen, als wir es vom Denken in Businessplänen gewohnt seien. Im Grunde gehe es um Discovery-Driven Planning, wie es von McGrath und MacMillan eingeführt wurde.
Ein Start-up hat keine bekannten Säulen
Ein Prozess des Ausprobierens und Testens an der Wirklichkeit. Nach dem Motto: Nur was dem Realitätscheck standhält, geht in die weitere Planung ein. Discovery-Driven Planning sieht die Entwicklung eines Entrepreneurial Design als laufenden Lernprozess, in dem es um Experiment, Intuition und Entdeckung derjenigen Strategie geht, die Kunden gewinnt und zufriedenstellt.
Gründer sollten sich, so Ripsas unter anderem, ein „Cockpit“ zulegen, in dem sie die wichtigsten Zahlen über den Geschäftsverlauf ihres Start-ups (zum Beispiel Kundenreaktion, Kostenentwicklung, Liquidität) festhalten. Wie der Pilot eines Flugzeugs könnten die Gründer zeitnah die wichtigsten Informationen über die wirtschaftliche Entwicklung ablesen.
Für ein etabliertes Business macht es Sinn, Drei-Jahres-Projektionen aufzustellen. Die Nachfrage nach Automobilen in den nächsten Jahren basiert auf einer Reihe von bekannten Säulen: Das Produkt ist bekannt wie auch das grundlegende Design. Man weiß, dass die Kunden es akzeptieren. Das Gleiche gilt für Preis, Vertriebsform und vieles mehr. Man bewegt sich also in bekannten, vertrauten Bahnen.
„Seeing is believing“? Bloß nicht!
All dies ist aber beim Start-up nicht der Fall. Vom neuen Produkt ist nichts bekannt, gerade wenn es sich um eine Innovation handelt. Stattdessen ein Bündel von Annahmen, Hoffnungen, von denen wir uns wünschen, dass sie doch bitte zutreffen mögen. Wenn wir in dieser Situation eine Projektion machen, sind die Zahlen das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Sie eignen sich nicht als Planungsgrundlage. Sie sind Luftschlösser.
Schlimmer noch: Nach einer Weile fangen die Gründer an, an ihre Zahlen zu glauben. „Seeing is believing“ gilt offenbar auch hier. Wenn man oft genug auf die Zahlen gesehen hat, scheinen sie an Substanz zu gewinnen. Statt offen zu sein für das Experiment, das sie gerade unternehmen, sehen die Gründer ihren Businessplan als Vorgabe, als etwas Festes an.
Kapitalgeber, die an Businesspläne glauben und sie für ihre Entscheidung heranziehen, verstärken diese Haltung. Sie erwarten, dass der Gründer den Plan einhält. Statt sensibel wahrzunehmen, auszuprobieren, zu ertasten, was an ihrem Strauß von Annahmen zutreffend ist und was nicht, fangen die Gründer an, ihr Konzept gegen Ungläubige zu verteidigen.