Rollen ausfüllen statt Stellenbeschreibung erfüllen

Es macht einen großen Unterschied, ob jemand eine Stellenbeschreibung ausfüllen oder eine Rolle im Unternehmen erfüllen muss. 

Bei einer Stellenausschreibung sind die Aufgaben relativ klar umrissen. Anforderungen ändern sich aber mit der Zeit, doch die Stellenbeschreibung bleibt die alte. Werden Aktivitäten außerhalb der veralteten Stellenbeschreibung nötig, fühlen sich Mitarbeitende nicht verantwortlich. 

Diese Schwächen bestehen in Firmen mit Rollenmodellen nicht. Eine Rolle auszufüllen bedeutet mit bereitgestellten Mitteln die Firmenziele auf eigene Weise zu verfolgen. Eine Rolle gibt weniger detailliert vor, was konkret zu tun ist, sondern sie eröffnet einen individuellen Handlungsspielraum, in dem sich Mitarbeitende ausprobieren können. Nicht der Weg ist das Ziel, sondern das Ziel ist das Ziel. 

Einer Rolle in einer Holokratie sind Ressourcen zugeordnet, sie werden als Domäne bezeichnet. Dies kann z. B. eine Website, ein Fuhrpark oder ein Shop sein. Mit einer Domäne kannst du machen was du willst, solange du die Firmenziele verfolgst.

Wenn jemand anders Zugriff auf deine Ressource nehmen will, braucht er deine Zustimmung. Nach diesem Konzept können Mitarbeitende verschiedene Rollen parallel übernehmen und umgekehrt kann jede Rolle von mehreren Mitarbeitern gleichzeitig eingenommen werden. Wichtig ist die Abstimmung untereinander, wer welche Schwerpunkte setzt, damit sich niemand in die Quere kommen. 

Können alle König sein?

Typisch innerhalb einer holokratisch aufgebauten Firma ist, dass jeder einzelne Mitarbeitende sich unternehmerisch verhält. Jeder ist dem übergeordneten Ziel verpflichtet. Betrachtet man das System etwas kritischer, fallen Parallelen zu längst versunkenen Königreichen und zu staatlichen Organisationen auf. Vielleicht ist doch nicht alles Gold was glänzt?

In einer Holokratie…

  • …hat eine (wechselnde) Führungskraft nach außen hin die Krone auf und repräsentiert das Unternehmen. 

  • …ist die Sachebene die wichtigste, weil hier Entscheidungen getroffen und Aufgaben erledigt werden. Führungskräfte mit Krone schalten sich nur in Ausnahmefällen ein, wenn sie akuten Handlungsbedarf sehen.

  • … haben Mitarbeitende die Chance ein Leben lang an spannenden Aufgaben zu arbeiten, statt nach kurzer Zeit die Stelle zu wechseln.

  • …gibt eine Verfassung Regeln vor, an die sich alle halten müssen.

  • …wird der Wert eines Mitarbeiters durch die Aufgaben bestimmt, die er erledigt. Wer nichts macht, ist nichts.

Holokratische Firmen funktionieren also initiativ. Eine Gruppe von Machern, in der jede Stimme gleich viel wert ist, bestimmt den Kurs. Soweit die Theorie. In der Praxis besteht allerdings die Gefahr, dass Vetternwirtschaft und Seilschaften die ideale Theorie im Business-Alltag unterlaufen. 

Mitarbeitende in einer Holokratie müssen stark sein

Eine weitere Schwierigkeit, mit der sich holokratisch organisierter Firmen auseinandersetzen müssen ist, dass Druck und Stress nicht verschwinden, nur weil es keinen Oberhäuptling in der Firma gibt. Die Auseinandersetzung auf Augenhöhe erfordert von jedem einzelnen starke Nerven, starke Argumente, starke Empathie, starke Kommunikation-Skills - um nur eine Handvoll der notwendigen Eigenschaften zu nennen. 

Nun weiß wohl jeder, dass um uns herum nicht nur charakterfeste, eloquente, empathische Kommunikationsexperten leben und arbeiten. Niemand ist perfekt. Es kann also durchaus vorkommen, dass die Fähigkeiten einer Person nicht ausreichen, um eine bestimmte Rolle auszufüllen. Genau das ist ein großes Problem. Geschieht dies, leben im Verborgenen nahezu unbemerkt alte Hierarchien wieder auf, um die eigenen Pfründe zu sichern. Welcher Mensch mit starkem Ego gibt zu, dass er überfordert ist? Es kommt zwar vor, aber nicht allzu oft. Die Regel ist eher, dass Schwächen versteckt statt zugegeben werden. Hierarchie im Untergrund wirken verschwörerisch und haben das Potenzial, das gesamte Konstrukt zu sabotieren. 

Die skizzierte Erfahrung stammt von Firmen wie Medium und Zappos, die sich 2016 bzw. 2020 unter anderem aus diesen Gründen von der strengen holokratischen Ordnung wieder verabschiedet haben. Dennoch haben sie viel daraus in die neue Firmenpolitik übernommen. Innerhalb der Firmen arbeiten heute Teams eigenverantwortlich, so ähnlich wie Kleinunternehmen oder Budgetverantwortliche Abteilungen. 

Grundvoraussetzung: Teamfähigkeit und Eigenverantwortung

Eine Holokratie kann funktionieren, wenn jeder Mitarbeiter team- und zielorientiert arbeitet. Von heute auf morgen in einer Firma ein solches Konzept zu installieren, wird wahrscheinlich  nicht funktionieren. Die Veränderungen von innen heraus hat vermutlich die größten Chancen auf Erfolg. Wenn die Belegschaft mitzieht und miteinander an den Herausforderungen wächst, kann sie flexible und dynamische Rahmenbedingungen schaffen, die nahe an das Musterbeispiel einer Holokratie herankommen. Es stellt sich wohl die Frage, ob das wirlich erstrebenswert ist.

Was viele Mitarbeitende spannend finden ist, dass Sie in einer holokratischen Firma die Möglichkeit sehen, immer wieder neue Rollen zu besetzen und dadurch ihren Erfahrungsschatz zu erweitern. Die Arbeit bleibt interessant und herausfordernd. Natürlich kann es zu Problemen kommen, es läuft nicht alles hundertprozentig reibungslos, aber das tut es wohl in keiner Firma.

Wenn du selbst Gefallen an einem Unternehmen findest, in dem flache Hierarchien und ein großes Maß an Eigenverantwortung die Geschäftspolitik bestimmen, dann dürfte dir der holokratische Gedanke zumindest in seinen Grundzügen gefallen. Wichtig ist auf jeden Fall bei der Auswahl von Mitarbeitern, dass diese Willens und bereit sind, Verantwortung zu tragen und selbstbestimmt zu arbeiten.. 

Gleiche Verantwortung, gleiches Geld? 

Wenn in einer Firma alle gleich viel Verantwortung tragen und jede Meinung gleich viel wert ist, wie ist es dann mit der Bezahlung? Ein Blick hinter die Kulissen der Firma “Erdbär”, die nach dem holokroatischen Grundgedanken arbeitet, bringt Licht ins Dunkel. Die Antwort lautet schlicht: Nein. Mitarbeitende verdienen nicht gleich viel. Stattdessen wird nach einem transparenten System bezahlt, in der feste Stufen die Vergütung vorgeben. Stufe eins bedeutet relativ wenig Verantwortung, Stufe 4 steht für große Verantwortung. Also muss man sich doch wieder hocharbeiten. Wer auf der höchsten Stufe steht, verdient am meisten.

Fazit: Grundgedanke vielversprechend, Umsetzung ernüchternd 

Der Grundgedanke an sich, dass jeder Mitarbeiter in einem Unternehmen gleich viel zu sagen hat und ergo gleich viel wert ist, ist löblich. Doch schaut man genauer hin, zeigen sich in der Praxis klare Unterschiede. Einsteiger übernehmen Rollen mit weniger Auswirkungen bei (Fehl-) Entscheidungen und sie verdienen weniger. Erfahrene Mitarbeiter übernehmen Rollen, die sich mit weitreichenden Entscheidungen befassen und verdienen mehr. 

Eine Gretchenfrage lautet: Was geschieht wohl, wenn beide zusammen in einem Zirkel zusammenarbeiten? Welches Wort hat mehr Gewicht, wessen Meinung zählt mehr? 

Allen Zweifeln zum Trotz bestehen recht gute Chancen, dass beide ihr Ego zurück und das übergeordnete Firmenziel nach vorn stellen. Holokratie ist vielleicht nicht der Weisheit letzter Schluss, doch sie ist eine interessante Basis, auf der heterarchische  Führungs- und Arbeitsstile wachsen können.

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