Gründen mit Komponenten
Günter Faltin
Stiftung Entrepreneurship, Deutschland
Aus dem “Handbuch Entrepreneurship” © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2016 (gekürzte Fassung)
Der Überlastungsfalle entgehen
Eigentlich muss man verrückt sein, wenn man Unternehmer werden will: 12 bis 14 Stunden pro Tag müsse man arbeiten, kein Urlaub in den nächsten Jahren, wenig oder kein Privatleben mehr. Man riskiert, Freunde oder Partner an weniger gestresste Menschen zu verlieren. Morgens im Büro der Erste, und abends der Letzte. Und Sorgen ohne Ende: Vorschriften, Fristen; die volle Verantwortung für alles, auch was gar nicht auf dem Radar ist; den Bankkredit bedienen und zurückzahlen können; die nächste Inventur, die Steuererklärungen.
Risiken kommen auf Sie zu, und zwar zuhauf. Überhaupt: Ihre Überlebenswahrscheinlichkeit im Markt liegt bei weniger als 50 Prozent. Manche Studien sagen, dass sogar 80 Prozent der Gründer spätestens nach fünf Jahren gescheitert sind. In Aussicht steht also ein Bankrott – jedenfalls statistisch – für all die wahnsinnigen Mühen, die eben aufgezählt wurden. Um es im Klartext zu sagen: In unserer Gesellschaft und bei dem hohen Niveau von sozialstaatlicher Fürsorge, das wir erreicht haben, muss jemand eigentlich verrückt sein, wenn er ein eigenes Unternehmen gründet.
Der Gründer als Typ „Extremsportler mit masochistischem Einschlag“? Das kann es nicht sein.
Doch unsere Gesellschaft braucht Gründer. Und nicht nur einige wenige, sondern möglichst viele. Müssen wir dann das Thema Gründen nicht ganz anders angehen, als dies bisher der Fall ist? Die folgenden Ausführungen schildern Wege, aus der Malaise herauszukommen. Viele Vorstellungen, die heute noch das Gros der Gründerberatung ausmachen, kann man einfach abschneiden wie einen alten Zopf. Wir brauchen eine radikale Umorientierung. Zum Glück kommen viele Entwicklungen der modernen Wirtschaft unserem Bestreben entgegen.
Ein aussichtsreicher Weg, die Überlebenschance von Neugründungen zu verbessern – neben der Qualität des Entrepreneurial Designs und des Proof of Concept - ist der Einsatz von Komponenten.
Der Unternehmer als Alleskönner – Warum wir diesen Zopf abschneiden müssen
Gründern wird suggeriert, sie müssten Alleskönner sein, sich in allen Bereichen der Betriebswirtschaftslehre und Unternehmensverwaltung auskennen. Dabei handelt es sich um umfangreiche Gebiete, bei denen man Monate, ja Jahre bräuchte, um sich so solide einzuarbeiten, dass man wirklich kompetent handeln könnte.
Traditionelles Anforderungsprofil an das Wissen eines Gründers:
- Rechnungswesen
- Bilanzierung
- Controlling
- Branchenerfahrung
- Arbeits-, Vertrags-, Unternehmens-, Steuerrecht
- Management und Organisation
- Finanzplanung
- Personalführung
- Verhandlungsführung
- Marketing und Vertrieb
- Kundenkommunikation
- Finanzierung
- Öffentlichkeitsarbeit
Es kommt noch hinzu, dass diese Gebiete ständig weiter an Breite und Tiefe zunehmen. Was also in der Vergangenheit vielleicht noch realistisch war – einigermaßen kompetent in diesen Feldern zu agieren –, ist es heute nicht mehr. In dieser Situation gibt es gar keinen anderen Ausweg als die Suche nach Möglichkeiten, die eigene Nichtkompetenz zu substituieren. Bevor wir also alle Nichtökonomen auffordern, sich mit dieser Stofffülle vertraut zu machen, sollten wir einen Moment überlegen.
Noch ein zweiter Einwand liegt nahe: Die Sachgebiete sind so groß und so anspruchsvoll, dass die Gefahr besteht, dass Sie als Dilettant enden. Dilettantismus ist aber noch gefährlicher als das Eingeständnis, ein Fach nicht zu beherrschen.
Dabei ist die Aufzählung, wie sie oben vorgenommen wurde, noch gar nicht vollständig. Die entscheidenden Kompetenzen, die Gründer brauchen, um sich im Markt auch behaupten zu können, fehlen ja noch. Gründer müssen neue Trends und Veränderungen im Markt rechtzeitig erkennen, ihr unternehmerisches Konzept immer wieder auch neuen Marktbedingungen anpassen. Sie müssen ihre Ideen den eigenen Mitarbeitern plausibel machen und sie damit begeistern können. Sie müssen ihr Unternehmen führen¹. Das ist etwas anderes, als den Geschäftsalltag zu organisieren und zu verwalten². Im Einzelnen handelt es sich auch hierbei um eine große Anzahl von Aufgaben, die eine Person mehr als ausfüllen.
Denken in Komponenten
»Ich weiß nichts. Ich kann nichts. Und deswegen mache ich auch besser nichts. Jedenfalls nicht selbst.«
So verrückt es im ersten Moment erscheint, aber diese Aufzählung fundamentaler Mängel beschreibt die Ausgangslage eines Entrepreneurs gar nicht so schlecht. Klar, wir übertreiben, aber wir heben damit einen wichtigen Punkt hervor.
Sie können nicht alles wissen, was heute in einem Unternehmen gebraucht wird. Technologische Entwicklungen und Marktreaktionen, Materialwissen, Prozessorganisation, steuerliche Aspekte, Menschenführung, Arbeitsrecht, Vertragsrecht, Gesellschaftsrecht, nationales und europäisches Recht– die Liste ließe sich beliebig verlängern und beschreibt nur Überschriften über umfangreiche Fachgebiete. Sich alles aneignen zu wollen, auch nur oberflächlich, würde zur unendlichen Geschichte.
Ich muss mir meines Nichtwissens bewusst bleiben, wenn ich die Leistungen, die vor mir erbracht wurden, miteinander kombiniere.
Ich baue auf die Kompetenz anderer, und ich muss es auch. Ich brauche die Professionalität anderer, damit ich mich auf die Koordination, die Kontrolle und Evaluation der Komponenten beschränke.
Zu glauben, dass man alles und jedes wie früher für sein Unternehmen eigens aufbauen müsse, ist eine antiquierte Vorstellung. Sie ist weder ökonomisch noch ökologisch – nur unzeitgemäß.
Es ist gerade das Ausmaß an Arbeitsteilung, das die Produktivität des Gründers erhöht. Arbeitsteilung ist heute ein Schlüsselelement für den Erfolg einer Gründung. Beim Gründen mit Komponenten geht es, wie beim interdisziplinären Arbeiten auch, darum, die Sichtweisen der anderen Fächer zu verstehen, die Logik der jeweiligen Einzeldisziplinen, aber nicht zu versuchen, einen Grundstock an Fachwissen in jedem Fach anzuhäufen. Was es braucht, ist Respekt für die Denkweise der einzelnen Fachrichtungen. Und die Anstrengung, die unterschiedlichen Sichtweisen auf ein gemeinsames Ziel hin (die intelligentere Lösung) zu koordinieren und zu nutzen. Es gilt, die Vielfalt der Aspekte und Argumente auf ein gemeinsames Besseres, Verträglicheres zu richten.
Mit Komponenten zu gründen, hat erstaunliche Vorteile. Statt Kapital ein setzen zu müssen, also Komponenten wie Büro, Buchhaltung oder Logistik für das eigene Unternehmen aufzubauen, siedelt man diese »Unternehmensteile« bei Anbietern im Markt an. Also nicht outsourcen – die Fertigungstiefe verringern, indem Teile der Produktion zu Zulieferern ausgelagert werden – sondern von vornherein von außerhalb an das eigene Unternehmen angliedern. Statt mich etwa für mein zukünftiges Büro mit Gewerbemietverträgen, Auswahl von geeignetem Personal, Einrichtung und Maintenance des Büros zu belasten, nutze ich den Service eines Bürodienstleisters. Ich gewinne Zeit, brauche viel weniger Kapital, bin von Anfang an professionell. Nicht weil ich in diesem Gebiet professionell wäre, sondern weil das Partnerunternehmen es bereits ist.
Professionalität ist das zentrale Stichwort, wenn es um Komponenten geht. Ein Partner, der sein Fachgebiet wirklich beherrscht kennt die Schnittstellen zu den anderen Unternehmensteilen, wird sie von sich aus benennen und Lösungsvorschläge anbieten. Es ist die Fachkompetenz des Partners, die die Delegation von Aufgaben ermöglicht und erfolgreich macht.
Auch aus der Perspektive Team macht es Sinn, möglichst viele Teile Ihres Konzepts von Komponenten erfüllen zu lassen. Wenn Sie Ihr Team so klein halten können, dass alle Mitglieder in einen Raum passen, haben Sie eine interne Kommunikationsstruktur, die jedes noch so große, noch so gut gemanagte Unternehmen um Längen schlägt. Sie ersparen sich als Gründer die Erfahrung, miterleben zu müssen, wie Ihre anfangs hervorragende Kommunikation und der entrepreneurial spirit in Ihrem kleinen Gründerteam allmählich verwässert und schließlich verloren geht durch die mit dem Wachstum des Unternehmens normalerweise einhergehende Zunahme Ihres Personalbestandes.