"Zöger doch nicht so lange“ – warum das kein guter Rat für Start-ups ist, erklärt Günter Faltin...

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Prof. Faltin

Dieser Beitrag erschien zuerst auf WIWO

„Zöger doch nicht so lange“ – das ist kein guter Rat für Start-ups, meint Günter Faltin. Gründer müssen stattdessen lernen, auch Unsicherheiten auszuhalten.

Wann ist ein Konzept ausgereift? Woran erkennen wir, ob unser Entrepreneurial Design bereits ausreichend praxistauglich ist? Wir betreten mit einem innovativenDesign naturgemäß Neuland. Es fehlen die Wegmarkierungen. Es gibt kein klares Richtig oder Falsch, keine einfache Lösung, zumindest keine, die sich auf Erfahrung berufen kann.

Ja, die Unsicherheit ist groß. Sie geht so leicht auch nicht weg. Wird durch bloßes Grübeln nicht besser. Aufgeben, der einfache Weg. Weitermachen, der schwierige. Was jetzt zu tun ist, steht in keinem Lehrbuch der BWL: Mit der Ambiguität leben. Mit den eigenen Ängsten umgehen, die Unsicherheit aushalten.

Eines hilft in dieser Situation: die Arbeit am Entrepreneurial Design vertiefen. Die Annahmen überdenken, von denen man ausgeht. Sparringspartner finden und mit ihnen diskutieren. Urteile aus der Hüfte schießender Berater, Besserwisser oder Bedenkenträger vermeiden. Weitere Sichtachsen finden und abarbeiten, Denkpausen einlegen, noch mehr Informationen einholen und immer wieder neu durchdenken. Zusätzliche Beine des Entrepreneurial Design suchen, die die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs erhöhen könnten. Den eigenen Zweifeln nachgehen und Lösungen finden. Teile des Konzepts hin- und herschieben, wie in einem Puzzle, bis die Konturen eines wirklich überzeugenden Konzepts entstehen.

Wenn die Situation zwiespältig ist, entscheiden Sie sich nicht!

Nicht den Zyklus einmal durchgehen, wie hier beim Lesen. Sondern zehnmal, 50-mal, ja 100-mal und mehr, wenn sich noch keine überzeugende Lösung abzeichnet. Ich halte nichts, aber auch gar nichts von Sprüchen wie: „Legen Sie los. Zögern Sie nicht so lange. Die Probleme kommen sowieso erst in der Praxis.“ Kein guter Rat, meine ich, wenn die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns statistisch bei 80 Prozent liegt.

Ambiguitätstoleranz ist gefragt. Die Dinge in der Schwebe halten, wenn und solange keine für Sie selbst überzeugende Lösung vorliegt. Sie müssen die Ambiguität aushalten. Es führt kein Weg daran vorbei. Hören Sie nicht auf Ihre wohlmeinenden Freunde, die sagen: „Jetzt entscheide Dich doch endlich!“ Es gibt nichts zu entscheiden. Die Situation ist noch nicht entscheidungsreif. Sie ist zwiespältig, zu zwiespältig. Es gibt viele Argumente für oder gegen eine bestimmte Vorgehensweise. Und sie halten sich oft ungefähr die Waage.

In seinem Buch „Kreativität als Chance“ beschreibt Paul Matussek die Ambiguitätstoleranz als eine besonders anspruchsvolle Eigenschaft. Es sei die Fähigkeit, in einer spannungsvollen, unübersichtlichen, von vielen Kräften bewegten Situation auszuhalten und unbeirrt das Ziel im Auge zu behalten. Die meisten Menschen ertrügen die aus der Ungelöstheit einer solchen Situation entstehenden Spannungen nicht oder nur für kurze Zeit. Sie versuchten, den Druck loszuwerden.

Dagegen, so Matussek, entstünden Lösungen eher von unerwarteter, nicht vorhersehbarer Seite, wenn man dem Druck standhält. Um solche Lösungen zu finden, müsse man in der Schwebe der Ungewissheit arbeiten können.

Die Ambiguität als Normalzustand

Zu experimentieren, neue Pfade zu finden, statt auf ausgetretenen Wegen zu laufen, bringt zwangsläufig Unsicherheit und uneindeutige Situationen mit sich. Wir müssen daher unsere Anstrengungen darauf richten, mehr Durchblick im Nebel zu schaffen – und wenn das nicht geht, die Ambiguität aushalten.

Meine eigenen Erfahrungen: Ambiguität ist ein fast regelmäßig wiederkehrender Zustand. Manchmal hilft es, mit neuen, ungewohnten Sichtweisen zu arbeiten. Die Nähe zu Künstlern oder zu Menschen mit unterschiedlichem Background und ganz anderen Perspektiven lässt uns ahnen, dass es sich eher um einen Normal- als einen Ausnahmezustand handelt und dass wir nicht allein sind. Schon die Kenntnis des Phänomens Ambiguität hilft uns. Und wer die Ambiguität länger aushält, ist im Vorteil.

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